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Zugvorbereitung im Schweizer Bahnverkehr

Zugvorbereitung

By mbl

6. März 2025

Die Sicherheit im Eisenbahnverkehr beginnt lange bevor ein Zug das erste Mal anfährt. Ein entscheidendes Element in der Sicherheitskette ist die Zugvorbereitung, ein komplexer Prozess, der im Kapitel R 300.5 der Schweizerischen Fahrdienstvorschriften (FDV) detailliert geregelt ist. In diesem Artikel beleuchten wir die wichtige Rolle des Zugvorbereiter (ZVB) und die Schlüsselelemente einer sicheren und effektiven Zugvorbereitung basierend auf den aktuellen Vorschriften, die zum 1. Juli 2024 angepasst wurden.

 

Was macht der Zugvorbereiter?

 

Der Zugvorbereiter (ZVB) ist gemäß den Schweizerischen Fahrdienstvorschriften die verantwortliche Person für die korrekte Durchführung der Zugvorbereitung. Die FDV R 300.1 definieren den ZVB präzise als:

„Vom EVU bezeichnetes, für die Durchführung der Zuguntersuchung verantwortliches Personal“

Der ZVB wird vom Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) bestimmt und trägt die Verantwortung für sämtliche technischen und betrieblichen Untersuchungen des Zuges, bevor dieser als „fahrbereit“ gemeldet werden kann. In der täglichen Praxis koordiniert der ZVB alle notwendigen Schritte und stellt sicher, dass ein Zug nur dann verkehrt, wenn er alle sicherheitsrelevanten Anforderungen erfüllt.

 

Die Kernelemente der Zugvorbereitung

 

Die Zugvorbereitung gemäß FDV R 300.5 umfasst mehrere kritische Komponenten, die allesamt sorgfältig durchgeführt werden müssen:

1. Zugbildung und Einreihung

Ein wesentlicher erster Schritt ist die korrekte Zusammenstellung des Zuges:

  • Kennzeichnung: Vor Abfahrt eines Zuges sind die Zugspitze und der Zugschluss gemäß den Signalvorschriften zu signalisieren. Das Warnsignal muss signalisiert werden können.
  • Fahrzeugreihenfolge: Die FDV regeln genau, welche Fahrzeuge wie eingereiht werden dürfen. Beispielsweise sind Triebfahrzeuge in der Regel an die Spitze des Zuges zu stellen, ausgenommen, wenn sie ferngesteuert sind (FDV R 300.5, Abschnitt 1.3.1).
  • Anhängelast: Die Anhängelast darf nicht größer sein als die Summe der für die betreffende Strecke zugelassenen Normallasten aller im Zug arbeitenden Triebfahrzeuge, unter Berücksichtigung der zulässigen Zughakenlast und Schiebelast.

2. Sicherung gegen Wegrollen

Stillstehende Züge müssen jederzeit gegen unbeabsichtigtes Wegrollen gesichert sein:

  • Festhaltekraft: Die Summe der Festhaltekräfte der von der Luftbremse unabhängigen Bremsmittel darf nicht kleiner sein als die Mindestfesthaltekraft für den Zug auf der entsprechenden Neigung (FDV R 300.5, Abschnitt 2.2).
  • Berechnung der Festhaltekraft: Die Festhaltekraft wird in Kilo-Newton (kN) ermittelt. Bei doppelter Anschrift der Festhaltekraft in kN und t ist der Wert in kN anzurechnen. Für die Berechnung gelten spezifische Formeln je nach Fahrzeugtyp und Ausrüstung.
  • Sicherung bei längeren Halten: Bleibt ein Zug voraussichtlich länger als eine halbe Stunde auf der Strecke stehen, ist dieser mit von der Wirkung der Luftbremse unabhängigen Bremsmitteln zu sichern (FDV R 300.5, Abschnitt 2.5).

3. Bremstechnische Anforderungen

Die Bremsleistung eines Zuges ist entscheidend für seine sichere Führung:

  • Bremsrechnung: Das Bremsverhältnis zur Bestimmung der Bremsreihe wird berechnet als: Bremsverhältnis (%) = (Bremsgewicht (t) / Zuggewicht (t)) • 100 (%)
  • Bremsgewichte: Die anrechenbaren Bremsgewichte richten sich nach der Stellung der Bremsart-Wechsel, Lastwechsel, automatischer Lastabbremsung und weiteren Faktoren.
  • Teilbremsverhältnis: Die Bremsen sind gleichmäßig im Zug zu verteilen. Das kleinste berechnete Teilbremsverhältnis muss mindestens so groß sein wie das Bremsverhältnis nach angewendeter Bremstabelle für die massgebende Neigung und eine Geschwindigkeit von 25 km/h (FDV R 300.5, Abschnitt 3.5.4).

4. Umfassende Zuguntersuchung

Der Zugvorbereiter führt eine gründliche Untersuchung durch:

  • Technische Zuguntersuchung: Der ZVB stellt sicher, dass die Lauffähigkeit und Betriebssicherheit gewährleistet sind, alle Türen und Verschlüsse gesichert und Güterwagen vorschriftsgemäß beladen sind. Diese Untersuchung ist an jedem Fahrzeug mindestens einmal pro Tag sowie bei Güterwagen nach Änderungen der Beladung durchzuführen.
  • Betriebliche Zuguntersuchung: Hier prüft der ZVB die vorschriftsmäßige Formierung des Zuges, die korrekte Kupplung, die Funktionsfähigkeit der Bremsen, ausreichende Bremsmittel zur Sicherstellung der Mindestfesthaltekraft, und die ordnungsgemäße Kennzeichnung des Zuges.
  • Bremsprobe: Vor der Abfahrt im Ausgangsbahnhof, bei Veränderung der Zusammensetzung, nach einem Fahrrichtungswechsel oder nach der Inbetriebnahme eines abgestellten Zuges muss eine Bremsprobe durchgeführt werden (FDV R 300.5, Abschnitt 4.3).

Besonderheiten bei verschiedenen Zugarten

Die Anforderungen an die Zugvorbereitung unterscheiden sich je nach Zugart:

Reisezüge

Bei Personenbeförderung stehen zusätzliche Aspekte im Fokus:

  • Kontrolle der Fahrgastsicherheitseinrichtungen
  • Überprüfung der Türfunktionen und -steuerung, insbesondere der automatischen Türschließung
  • Sicherstellung der korrekten Beschilderung und Anzeigen

Güterzüge

Die Vorbereitung von Güterzügen erfordert besondere Aufmerksamkeit bei:

  • Ladungssicherung und Gewichtsverteilung
  • Spezialvorschriften für Gefahrguttransporte (RSD/RID-Vorschriften): Wagen mit Gefahrgut müssen gemäß FDV R 300.5, Abschnitt 1.4.3 besonders behandelt werden. Nach der Zugvorbereitung und nach jeder Änderung der Zugzusammensetzung muss der Lokführer (LF) vor der Abfahrt verständigt werden, wenn Gefahrgutwagen eingereiht sind.
  • Besondere Anforderungen an die Bremsart-Wechsel bei schweren Güterzügen: Bei Güterzügen mit einer Anhängelast von mehr als 600 t müssen die Triebfahrzeuge an der Spitze des Zuges auf „G“ statt auf „P“ gestellt werden (FDV R 300.5, Abschnitt 3.3.1).

Die Dokumentation der Zugvorbereitung

Ein wesentlicher Teil der Aufgaben des Zugvorbereiter ist die korrekte Dokumentation:

 

  • Angaben für die Zugführung: Der Lokführer benötigt vor der Abfahrt mindestens folgende Angaben: vorgeschriebene Zug- und Bremsreihe, Gewicht der Anhängelast, Länge des Zuges, Höchstgeschwindigkeit der Anhängelast, Begleitung des Zuges, Gefahrgutinformationen und bei Güterzügen weitere spezifische Daten wie den Anteil von Wagen mit Scheibenbremsen (FDV R 300.5, Abschnitt 3.8.1).
  • Meldung bei Abschluss: Der ZVB meldet dem Lokführer den Abschluss der Zugvorbereitung mit der Meldung „Zug … Bremse gut“ oder „Zugvorbereitung abgeschlossen“ (FDV R 300.5, Abschnitt 4.3.7).
  • Meldung bei Verzögerungen oder vorzeitigem Abschluss: Bei Verzögerungen oder bei vorzeitigem Abschluss der Zugvorbereitung erfolgt eine Meldung an den Fahrdienstleiter (FDL) und den Lokführer (FDV R 300.5, Abschnitt 4.4.2).

Die Verantwortung des Zugvorbereiter im modernen Bahnbetrieb

Im zunehmend digitalisierten und internationalisierten Eisenbahnverkehr wächst die Bedeutung des Zugvorbereiter:

  • Schnittstelle zwischen Technik und Betrieb: Der ZVB verbindet technisches Know-how mit betrieblichen Anforderungen
  • Entscheidende Sicherheitsinstanz: Als letzte Prüfinstanz vor der Abfahrt trägt der ZVB eine hohe Verantwortung
  • Flexibilität bei Störungen: Bei unvorhergesehenen Ereignissen muss der ZVB angemessen reagieren können
  • Verständnis moderner Fahrzeugausrüstung: Besonders im Bereich der Fahrzeugausrüstung für ETCS (European Train Control System) sind spezifische Kenntnisse erforderlich. Der ZVB muss sicherstellen, dass dem Lokführer die für die Zugdateneingabe notwendigen Parameter zur Verfügung stehen (FDV R 300.5, Abschnitt 3.7.5).

Ausbildung und Qualifikation

Die anspruchsvolle Tätigkeit des Zugvorbereiter erfordert eine fundierte Ausbildung:

  • Umfassende Kenntnis der FDV, insbesondere des Kapitels R 300.5
  • Technisches Verständnis für die verschiedenen Fahrzeug- und Bremstypen
  • Regelmäßige Weiterbildungen zur Aktualisierung des Fachwissens

Fazit: Der Zugvorbereiter als Garant für Sicherheit

Die sorgfältige Zugvorbereitung ist das Fundament eines sicheren Eisenbahnbetriebs. Der Zugvorbereiter trägt mit seiner Arbeit entscheidend dazu bei, dass täglich tausende Züge sicher durch die Schweiz rollen können. Seine Tätigkeit mag für Außenstehende oft im Verborgenen bleiben, doch für die Sicherheit im Bahnverkehr ist sie unerlässlich.

Die klaren Regelungen der Schweizerischen Fahrdienstvorschriften bieten dabei die notwendige Orientierung und definieren präzise Standards, die einzuhalten sind. Mit der Aktualisierung der FDV zum 1. Juli 2024 werden diese Standards weiter verfeinert und an aktuelle Entwicklungen angepasst, um den Schweizer Bahnverkehr auch in Zukunft auf höchstem Sicherheitsniveau zu halten.


Dieser Artikel basiert auf den Schweizerischen Fahrdienstvorschriften (FDV), insbesondere dem Kapitel R 300.5 „Zugvorbereitung“ sowie den Begriffsdefinitionen in R 300.1. Die vollständigen und rechtlich verbindlichen Vorschriften finden Sie in den offiziellen Dokumenten des Bundesamts für Verkehr (BAV). Stand: März 2025.